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Illustration von einer Frau mit dunklen Haaren, die aus einem Fenster schaut

Hilfeportal Frag OSKAR - Aus dem Alltag einer Telefonberaterin.

"Es geht nicht darum, immer diesem großen Glück nachzurennen."

Als Partner des Bundesverbands Kinderhospiz e. V. platziert die NÜRNBERGER Versicherung das schwierige Thema "Kind und Sterben" in der Öffentlichkeit. Mottospieltage und Spendenläufe trugen dazu bei, Berührungsängste abzubauen und sich über das Hilfe-Portal "Frag-OSKAR.de" zu informieren. Doch wer verbirgt sich hinter dem OSKAR-Sorgentelefon und den weiteren Angeboten? Was motiviert die Beratenden und woher nehmen sie die Kraft, sich tagtäglich mit ergreifenden Schicksalen, Trauer und Tod auseinanderzusetzen? Unsere Projektleiterin Dr. Natalie Schwägerl tauschte sich hierzu mit der "Frag-OSKAR.de"-Verantwortlichen Pia Heinreich aus.

Der Begriff Hospiz ruft bei sehr vielen Menschen Gedanken an Tod, an Abschied und Trauer hervor. Was viele nicht wissen: Die Kinderhospizarbeit setzt bereits mit der Diagnosestellung ein. Ambulante und stationäre Angebote begleiten die gesamte Familie schwerstkranker Kinder, Jugendlicher und auch junger Erwachsener oft über Jahre. Für die mehr als 50.000 Betroffenen sind die stationären Kinderhospize ganz besondere Orte. Sie helfen ihnen, Kraft zu schöpfen und sich auf das Leben und kleine Glücksmomente zu konzentrieren. Eine fröhliche Atmosphäre, das Lachen erkrankter Kinder und deren Geschwister sind feste Bestandteile ihres Alltags. Ebenso wie die intimen Momente des Abschiednehmens, für die einige Eltern den geschützten Raum dieser Einrichtungen wählen. Der systemische Ansatz der Kinderhospizarbeit schließt das gesamte soziale Umfeld des erkrankten Kindes ein, beispielsweise Lehrkräfte, die eigene Schulklasse, Übungsleiter oder die häusliche Nachbarschaft. Sie können sich an "Frag-OSKAR.de" wenden.

Zitate

"Die Kinderhospizarbeit ist für mich eine Herzensangelegenheit. Daher ist es für mich so, dass sie in meinen privaten Bereich hineinreicht."

Pia Heinreich, Verantwortliche Hilfe-Portal "Frag-OSKAR.de"

Das Hilfe-Portal des Bundesverbands Kinderhospiz e. V. bietet an 365 Tagen rund um die Uhr kostenlos Unterstützung und Rat. Im Jahr 2021 kamen "OSKAR-Sorgenmail", eine sozialrechtliche Sprechstunde und interaktive Gruppenangebote als ergänzende und zu einem geänderten Kommunikationsverhalten passende Angebote hinzu.

Das vom Bundesverband Kinderhospiz e. V. ausgegebene Motto "Das Leben feiern" zieht uns NÜRNBERGER in seinen Bann und lässt uns aktiv werden. Bei allem, was wir tun, ist uns bewusst, dass wir die Realität nicht ändern können. Am Ende steht immer der Tod junger Menschen. Doch wir können und wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützen. Zum Beispiel indem wir Menschen wie Pia Heinreich die Gewissheit geben, dass wir wertschätzen, was sie leisten, wenn sie den betroffenen Familien die zur Verfügung stehende Zeit ein Stück weit besser und in der finalen Phase erträglicher machen.

Ein Interview mit Pia Heinreich

Portrait von Pia Heinreich

Sie ist gelernte Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin.

Nach Tätigkeiten in einer Klinik und der ambulanten Kinderpflege war sie zunächst Mitarbeiterin, dann mehrere Jahre Leiterin eines stationären Kinderhospizes. Seit 2020 verantwortet sie beim Bundesverband Kinderhospiz e. V. das Hilfe-Portal "Frag-OSKAR.de". Die 58-Jährige hat drei erwachsene Söhne. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Welches der vier "Frag-OSKAR.de"-Angebote stellt für die Beratenden die größte Herausforderung dar?

[Heinreich] Das ist ganz eindeutig die Telefonberatung. Ich bin am Telefon und muss 1.000 Prozent da sein, im Hier und Jetzt und bei demjenigen. Das ist ein Stück weit Luxus bei der Mailberatung. Da lese ich erst einmal die Mail, kann sie für mich verarbeiten, schauen, welche Gefühle sie bei mir auslöst, dann kann ich noch einmal mit jemandem darüber sprechen und, und, und. Beim Sorgentelefon finde ich es daher extrem wichtig, dass die Berater schon Erfahrung aus der Kinderhospizarbeit mitbringen. Man kennt das dann schon aus dem Arbeitsalltag, dass sich Familien in Extremsituationen hilfesuchend an einen wenden. Bei mir haben immer wieder Familien in irgendwelchen Notlagen angerufen.

Gibt es Tage, an denen Sie die Schicksale, von denen Sie hören, weniger gut verarbeiten?

[Heinreich] Also definitiv. Alles andere wäre nicht menschlich. Die persönliche psychische Situation spielt eine große Rolle. Ein Stück weit hat man eine gewisse Professionalität in der Beratungssituation, reflektiert und grenzt sich auch ein Stück weit ab. Aber es gibt durchaus Tage, an denen man sagen können muss, sich selbst auch zugestehen können muss, „es geht heute nicht“. Man darf es nicht unterschätzen. Wenn man sich nicht gut fühlt, nicht gut drauf ist, kommt das beim Anrufenden auch an.

Deshalb ist jede Schicht beim Sorgentelefon doppelt besetzt. Kurz vor Dienstantritt ruft man bei seinem Backup an und sagt, dass man in den Dienst geht. Das Backup ist aber weiterhin da, für den Fall, dass man im Anschluss an einen brisanten Anruf darauf zurückgreifen möchte.

Die Aussage "die eigene Sprachlosigkeit zulassen" ist mir im Kontext Kinderhospizarbeit schon häufig begegnet. Auch als Ratschlag für Menschen, die in ihrem Umfeld erstmals mit einem schwerkranken Kind konfrontiert sind. Kommen Sie, mit all Ihrer Erfahrung, manchmal noch in Situationen, in denen Sie nicht wissen, was sie antworten sollen oder können?

[Heinreich] Diese Momente gibt es. Aber ich würde sagen, sie gehören dazu. Wirkliche Begleitung und gemeinsames Schweigen sind eng verbunden. Auch am Telefon ist es möglich, diese Sprachlosigkeit ein Stück weit zuzulassen, sie zu verbalisieren. Sie ist Teil der hilfreichen Kombination aus Zuhören, gemeinsam Aushalten, ganz behutsam Nachfragen, die für die Kommunikation mit Menschen in Krisensituationen so wichtig ist.

Wie viel Kinderhospizarbeit nehmen Sie aus dem Beruf mit in den Alltag?

[Heinreich] Die Kinderhospizarbeit ist für mich ein Stück weit eine Herzensangelegenheit. Daher ist es für mich so, dass sie in meinen privaten Bereich hineinreicht. Weil ich einfach auch privat viele Menschen kenne, die in der Kinderhospizarbeit verortet sind. Das Thema ist aber nicht negativ besetzt. Es gehört einfach dazu. Wenn man in einer stationären Einrichtung über viele Stunden in der Versorgung und Begleitung von Kindern ist, sind diese Belastungen noch einmal anders, viel extremer. Besonders in der finalen Begleitung von Familien, von jungen Menschen, musste ich nach Dienstschluss, nach Verlassen des Hauses, einen Weg finden, um abzuschalten. Da hatte ich so meine Methoden. Bei "Frag OSKAR" bin ich doch ein Stück weiter weg, muss ich sagen, da ist es eher seltener nötig.

Das Hilfeportal OSKAR ist für alle da, die mit dem Thema Kind und Sterben konfrontiert sind.
Speziell geschulte Beraterinnen und Berater hören zu und geben Rat - 24/7, kostenfrei und anonym.

Gibt es Einzelschicksale, an die Sie sich wiederkehrend erinnern?

[Heinreich] Ja, die gibt es auf jeden Fall. Bei mir ist es ganz oft so, dass ich eine Verbindung habe mit Liedern. Ich weiß, welche Lieder auf den Beerdigungen gespielt wurden, auf denen ich war, und wenn ich dann irgendwann eines dieser Lieder höre, dann erinnere ich mich. Ich bin aber niemand, der - das schätze ich auch nicht als gesund ein - Bilder zu Hause hat, das hatte ich nur im Büro von manchen Kindern. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen etwas Lustiges erzählen. Ich habe vor etwa zwölf Jahren eine junge Frau und ihre Familie in der finalen Phase begleitet. Wir haben auf Station mit der Familie und dem Team gefeiert und dann sind wir im Gespräch auf das Kochen von Eiern gekommen. Ich habe zugegeben, dass mir Eier oft platzen. Der Vater gab mir den Tipp, die Eier einmal kurz ins Wasser zu tauchen, wieder herauszunehmen und dann wieder ins Wasser zu geben. Und Sie werden es nicht glauben: Seit zwölf Jahren muss ich bei jedem Eierkochen an diese Geschichte denken. Und mir platzen auch keine Eier mehr auf. Das ist nur ein Beispiel. Sie sehen, es gibt ganz verschiedene Dinge und Anlässe, bei denen mir Familien in den Kopf kommen.

Überwiegen dann die positiven, eher leichten Erinnerungen oder sind es die dunkleren Momente?

[Heinreich] Es sind schon auch schwere Gedanken. Gerade mit diesen Liedern. Da fließt mir schon auch eine Träne, das kommt immer noch vor. Das ist ganz unterschiedlich. In welchem Kontakt man stand, wie lange und so weiter.

Zitate

"Natürlich ist es so, dass sich die Familien ein anderes Schicksal wünschen. Sie zu begleiten, ist eine Herausforderung. Aber das ist genau das, dem man sich stellen möchte, um Hilfe geben zu können."

Pia Heinreich, Verantwortliche Hilfe-Portal "Frag-OSKAR.de"

Vor diesem Hintergrund spielen Achtsamkeit und Selbstfürsorge eine wichtige Rolle. Wo und wie laden Sie Ihre Akkus wieder auf?

[Heinreich] Ich lebe sehr bewusst. Das ist glaube auch etwas, was die Zeit mit sich bringt. Vor 20 Jahren wäre meine Antwort wahrscheinlich etwas anders ausgefallen. Wenn man selbst im Familienalltag ist, mit drei kleinen Kindern, Job und Weiterbildung, dann rennt man 24 Stunden, dann funktioniert man irgendwie. Inzwischen bin ich an dem Punkt, dass ich wesentlich bewusster lebe, diese guten und schönen Momente intensiver wahrnehme. Ich freue mich jetzt schon, wenn im Frühjahr meine Blumenzwiebeln im Garten wiederkommen. Ich freue mich über einen Sonnenaufgang. Früher mochte ich kein schlechtes Wetter. Für mich war Regen etwas, das ich blöd fand, das mir keinen Anreiz gegeben hat rauszugehen. Heute kann ich einen Spaziergang im Regen genießen. Da ist dieses Bewusstsein: Ja, du lebst, dir geht es gut. Es geht nicht darum, immer diesem großen Glück nachzurennen, sondern wirklich mehr auf diese kleinen Dinge zu gucken. Und das hilft mir wahnsinnig.

In der Kinderhospizarbeit gibt es eigentlich nie die Chance auf Heilung. Wie kommen Sie mit dieser Gewissheit klar und was treibt Sie an?

[Heinreich] Letztendlich treibt es mich an, die Betroffenen auf ihrem Weg zu begleiten. Einfach für die Menschen da zu sein. Von der Diagnosestellung bis weit über den Tod hinaus. Genau das macht es aus: zu sehen, wie wichtig es für die Familien ist, sie nicht auf dem Weg allein zu lassen und ihnen zu zeigen, dass immer jemand für sie da ist. Wenn man die Chance hatte, Familien über lange Jahre zu begleiten, dann ist es am Ende auch sehr rund und gut, so schwierig das für Außenstehende jetzt klingen mag. Natürlich ist es so, dass sich die Familien ein anderes Schicksal wünschen. Sie zu begleiten, ist eine Herausforderung. Aber das ist genau das, dem man sich stellen möchte, um Hilfe geben zu können. Die Familien erkrankter Kinder haben ein Recht, wie alle anderen, auf Therapie. Sie haben auch ein Recht, bis zum Lebensende möglichst viele Glücksmomente zu genießen und aufgefangen zu sein.

Welche Botschaft möchten Sie den Leserinnen und Lesern des Interviews mit auf den Weg geben?

[Heinreich] Es wäre toll, wenn sie das Angebot von "Frag-OSKAR.de" im Hinterkopf behalten würden. Für den Fall, dass ihnen jemand begegnet, der Bedarf hat. Ich wünsche mir, dass "Frag OSKAR" weitergetragen wird und dass die Kinderhospizarbeit in unserer Gesellschaft kein Tabuthema mehr ist. Denn die betroffenen Menschen gehören zu unserer Gesellschaft und haben ein Anrecht darauf, ihr Leben zu leben und Normalität zu erfahren.

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