Kunstvolle bläuliche Farbübergänge in Wellenform

Big Data - small Problems?

Ein Gespräch über ethisch und moralisch richtige Datennutzung.

Daten sind das neue Gold. Aber bekanntlich ist nicht alles Gold, was glänzt. So sehen es zumindest viele Datenschützende. Verfolgt man die Debatte zur Nutzung, läuft sie auf zwei Pole hinaus: Zum einen wird Big Data gehypt, zum anderen verbreitet sich eine Aversion - ja fast schon eine Phobie - in der Gesellschaft. Aber sind Daten per se gut oder böse?

Zwei Menschen, die das wissen müssen, sind Kevin Goßling und Heinrich Fritzlar. Sie haben täglich mit Daten zu tun. Jedoch in verschiedenen Rollen: Wenn wir bei der Goldmetapher bleiben, ist Kevin Goßling der Schürfer. Der studierte Informatiker ist Gründer des Unternehmens Fusionbase, das Firmen eine Daten-Plattform anbietet, die den zentralen Zugriff auf tausende aufbereitete Daten aus öffentlichen und kommerziellen Quellen ermöglicht. Heinrich Fritzlar ist Leiter der Anwendungsentwicklung bei der NÜRNBERGER Versicherung und durchforstet jeden Tag Unmengen an Daten.

Herr Goßling, Sie haben mit Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen zu tun. Für welche Zwecke nutzen sie Daten?

[Goßling] Zunächst: Daten sind vielfältig. Entsprechend vielfältig sind auch die Einsatzbereiche: Angefangen bei der Produktentwicklung bis hin zu Marketing und Vertrieb werden Daten verwendet - sogar in Backoffice-Prozessen wie der Buchhaltung. So mannigfaltig der Einsatz auch ist, es gibt einen roten Faden in deren Nutzung, der sich im Großen und Ganzen durch sämtliche Branchen zieht: Alle wollen durch Daten Mehrwerte für den Kunden schaffen. Die Datenverarbeitung hilft, den Kunden noch besser zu verstehen.

Herr Fritzlar, Sie sind Herr der Daten bei der NÜRNBERGER. Was macht sie mit ihren Daten?

[Fritzlar] Na, die Daten gehören unseren Kunden und wir gehen maximal sorgfältig damit um. Eine Versicherung besteht im Grunde genommen nur aus Daten - über die Beschaffenheit von Schäden, über ihre Häufigkeiten und Frequenzen oder über den Verlauf einer Versicherungspolice. Mancher spricht von einem Datenschatz (lacht), wobei es sich im ersten Moment nur um staubige Ordner im Keller handelt. Aber all diese Daten analysieren wir und ziehen unsere Schlüsse daraus, um zukünftige Entscheidungen zu treffen.

Heinrich Fritzlar im Interview

Heinrich Fritzlar

ist Leiter der Anwendungsentwicklung bei der NÜRNBERGER Versicherung. Er ist verantwortlich für den operativen Dateneinsatz des Versicherungsunternehmens.

Das hört sich jetzt erst einmal unkritisch an. Vielen Menschen bereitet es dennoch Sorgen, wenn sie Spuren hinterlassen. Datenschützer warnen vor Fußabdrücken im Netz. Trotzdem wollen die meisten Kunden passgenaue Produkte und individuelle Serviceleistungen. Wo hört der Nutzen auf, wo beginnt der Missbrauch?

[Goßling] Ja, also darauf gibt es leider keine pauschale Antwort. Am Ende ist es so, dass grundsätzlich erstmal mehr Daten mehr Wert liefern. Wir haben das mit Corona gesehen: Hätten wir mehr Daten gehabt, hätten wir mehr Rückschlüsse ziehen und vielleicht das ein oder andere Leben retten können. Wir hätten vielleicht eher herausgefunden, ob wirklich die Superspreader die Kellner waren oder eine andere Berufsgruppe. Damit hätten wir das Infektionsgeschehen eingegrenzt. Das heißt, aus einer größeren Datenmenge lässt sich oft auch ein höherer Mehrwert erzielen. Ich bin eher ein Gegner von Datensparsamkeit. Dennoch gibt es Grenzen bei der Art der Nutzung. Zum Beispiel, wenn Gesundheitsdaten eingesetzt werden, um Personen gezielt zu benachteiligen oder zu diskriminieren.

[Fritzlar] Und das ist am Ende auch eine Kompetenz, die Unternehmen, Management, aber auch Mitarbeitende entwickeln müssen. Wir haben neutrale Daten wie zum Wetter oder zur Geologie, mit denen der Umgang eher unkritisch ist. Aber sobald wir personenbezogene Daten betrachten, müssen wir uns vergegenwärtigen: Es geht um Menschen. Ich möchte nicht, dass meine Krankenakte oder meine Historie in die Hände von Dritten gelangt und vielleicht missbraucht wird. Zum Glück haben wir in Deutschland und in Europa sehr gute, auch strenge Gesetze. Doch das allein reicht nicht. Für ein Unternehmen ist es wichtig, darüber hinaus seine eigenen Akzente zu setzen. Es braucht eine eigene Ethik ­­- unabhängig vom Einhalten der Gesetze. Die gilt es zu definieren und immerwährend anzupassen.
Auch wir bei der NÜRNBERGER haben unsere ganz eigene moralische Strategie definiert und darin festgelegt, wie wir mit den personenbezogenen Daten unserer Versicherten umgehen möchten. Damit sind wir in der Branche nicht allein: Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V (GDV) hat sich dazu auch schon Gedanken gemacht. Und andere Versicherer sind ebenfalls dran.

Da tut sich ja einiges. Wäre es für das gegenseitige Vertrauensverhältnis nicht förderlich, das als Unternehmen stärker zu kommunizieren und zu zeigen, dass man mit den Daten über die gesetzlichen Forderungen hinaus verantwortungsbewusst umgeht?

[Goßling] In der Tat. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu großen Missbrauchsfällen. Man erinnere sich nur an Facebook und Cambridge Analytica, wo Nutzerdaten abgegriffen wurden, um Wahlen zu beeinflussen. Diese Skandale haben das Vertrauen der Kunden stark belastet. Ich glaube, man sollte im Umgang mit Kunden immer ganz nah am Anwendungsfall bleiben und ihnen den Mehrwert klarmachen, den sie vom Offenlegen ihrer Daten haben. Ich finde den Ansatz der NÜRNBERGER hier sehr schön. Sie fordert Ihre Kunden.

[Fritzlar] Da gebe ich Ihnen recht. Man muss den verantwortungsbewussten Umgang mit Daten an konkreten Fällen zeigen. Pauschal zu sagen, wir sind gesetzeskonform und nehmen es genau mit der Datenethik, ist für den Menschen zu abstrakt. Er kann sich kein klares Bild von diesem großen Begriff machen, was ihn verunsichert. Die Punkt-zu-Punkt-Kommunikation nimmt ihm die Bedenken eher.

Kevin Goßling im Interview

Kevin Goßling

ist Co-Founder und CEO von Fusionbase.

Der führende Data Hub für maschinenlesbare Data Streams aus externen Quellen.

Herr Goßling, Sie haben mit vielen Firmen aus unterschiedlichen Branchen zu tun. Wie setzen die sich mit dem Thema korrekte Datennutzung auseinander?

[Goßling] So ziemlich alle größeren Konzerne entwickeln gerade eine Strategie und häufig mit Data Governance gemeinsam eine eigene Ethik. Den ersten kräftigen Anstoß in Richtung ethisch-moralisch richtige Nutzung hat die DSGVO gemacht. Das löste ja auch international durchaus große Wellen aus. Einiges passierte aber schon vorher. Ganz vorne mit dabei sind die Versicherer. Sie haben deutlich mehr Erfahrung im Datenhandling als klassische Industrieunternehmen etwa aus dem Maschinenbaubereich.

Wie sieht das konkret bei der NÜRNBERGER aus, Herr Fritzlar?

[Fritzlar] Wir haben im Haus ein Data Governance Board. Das ist der nicht-technische Teil im Unternehmen, der sich um Daten kümmert. Wir in der IT sind der technische Teil. Und es gibt die Fachbereiche, vornweg die Aktuariate, die bei uns ganz klassisch und natürlich historisch gesehen die meiste Datennutzung, -analytik etc. betrieben haben. Aus diesem Kreis heraus, also zusammen mit Governance, mit Anwendenden und Nutzenden und eben mit der IT, entstehen unsere Datenrichtlinien, entsteht auch unsere Strategie oder unsere DI-Leitplanken. Und dann haben wir natürlich auch immer wieder externen Input. Sei es jetzt hier durch Fusionbase oder andere Dienstleister, mit deren Hilfe wir technisch auf den neuesten Stand gebracht werden oder Ideen für neue Anwendungsfälle bekommen. Da braucht es extrem viel Kreativität. Und ich glaube, das ist bei Ihnen, Herr Goßling, ebenfalls eines der großen Themen: dass Sie Ideen reinbringen, was man mit den Daten anstellen kann.

[Goßling] Na klar! Wir sind ein junges Tech-Unternehmen. Mein Mitinhaber und ich, wir sind beide Informatiker und haben Fusionbase aus der TU München heraus gegründet. Anfangs gingen wir auf die Betriebe zu und sagten: "Hey, wir haben eine tolle Datentechnologie und hier sind 1.000 Datensätze." Aber das funktionierte nicht. Man muss mit ausgearbeiteten Ideen an die Firmen herantreten, mit fertigen Use Cases, und zeigen, wie Daten genutzt werden könnten. Und ja, einiges ergibt sich dann auch durch eine enge Zusammenarbeit. Mit der NÜRNBERGER entwickelten wir mittlerweile eine ganze Palette an Möglichkeiten, wie sie Daten gewinnbringend für den Kunden oder innerhalb der NÜRNBERGER einsetzen. Mit dem Ziel, auch nachhaltig als wirklich fortschrittlicher Wettbewerber im Markt bestehen zu können.

Können Sie unseren Leserinnen und Lesern einen Tipp geben, was sie tun sollen, wenn sie sich unsicher sind, ob sie ihre Daten offenlegen wollen?

[Fritzlar] Das sollte wirklich jeder für sich selbst entscheiden. Es ist letzten Endes ein technologisches und wirtschaftliches Angebot, das sagt: "Wenn du die Daten mit dem Unternehmen oder dem Dienstleister teilst, kann dir daraus folgender Nutzen erwachsen." Wenn der Kunde nicht teilen möchte, dann ist das völlig legitim. Die Hoheit muss beim Einzelnen bleiben.

[Goßling] Da bin ich genau bei Ihnen: Am Ende ist es eine persönliche Entscheidung. Bei mir ist es so, ich frage mich: Kann ich dem Unternehmen vertrauen und kann ich irgendwie nachvollziehen, warum die Daten überhaupt gefordert werden? Und wenn ich alles mit "Ja" beantworten kann und im Idealfall sogar noch weiß, was genau mein Mehrwert ist, dann gebe ich meine Daten her. Wenn ich Zweifel habe, tue ich es eben nicht.

Herzlichen Dank für die Einblicke!

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