Illustration mit verschiedenen Personen in technischen Aktivitäten

Künstliche Intelligenz und Digitalisierung.

"Wir sind nun mal soziale Wesen."

Matthias Schenk spricht mit Prof. Björn Eskofier (Universität Erlangen-Nürnberg), Nicolas Vogt (Makler) und Torsten Abitzsch (NÜRNBERGER) über die Zukunft von Künstlicher Intelligenz (KI) und Digitalisierung. Können sie den Menschen zukünftig ersetzen?

[Schenk] Bei Einkauf oder Dienstleistungen: Wo greifen Sie auf digitale Lösungen zurück, und wo bevorzugen Sie das persönliche Gespräch?

[Eskofier] Handelsplattformen wie Amazon versuche ich zu vermeiden. Wenn es aber sein muss, dann kaufe ich den Milchaufschäum-Reiniger online. Will ich mich jedoch zu einem bestimmten Produkt beraten lassen, mache ich das lieber im Laden.

[Vogt] Alles, von dem ich glaube, es zu verstehen, wie zum Beispiel Spielzeug, kaufe ich online. Aber alles, was komplexer ist, wofür ich also einen Berater möchte, da suche ich dann auch den Kontakt zum Fachmann. Also beispielsweise beim Autoleasing.

[Abitzsch] Finanzdienstleistungen nutze ich seit 25 Jahren digital. Technik, Fernseher oder Headset für den Junior: Das bestelle ich alles online. Aber ich recherchiere vor dem Kauf sehr gründlich, welches Gerät ich möchte. Schließlich will ich im Sinne der Nachhaltigkeit Retouren vermeiden.

[Schenk] Corona hat die Digitalisierung enorm vorangetrieben. Ist die Nachfrage nach Online-Produkten bzw. Beratung auch gestiegen?

[Vogt] Wir haben bereits vor Corona mit Video-Calls beraten. Manche Kunden waren etwas skeptisch wegen der Technik. Aber jetzt ist das eine Selbstverständlichkeit. Wir spüren, dass wir auf mehr Akzeptanz bei den Kunden stoßen.

[Abitzsch] Bei unseren Vermittlern hat die Online-Beratung zugenommen. Die Nachfrage nach Online-Services ist gestiegen. Und die Anzahl der Registrierungen im Kundenportal hat auch stark zugenommen.

Prof. Björn Eskofier

Interview mit Prof. Björn Eskofier

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Leitet seit 2017 das Machine Learning and Data Analytics (MaD) Lab sowie das Zentralinstitut für Medizintechnik der Universität Erlangen-Nürnberg. Mit einem Team von 40 Mitarbeitenden forscht Prof. Eskofier, der auch bereits Gastdozent an der Harvard Medical School war, u. a. im Bereich Maschinelles Lernen.

[Schenk] Als daten- und wissensbasierte Disziplin profitiert die Versicherungswirtschaft in besonderem Maße von KI-Einsatz. Teilen Sie diese Ansicht?

[Eskofier] Ja. Der Hauptgrund für die positive Entwicklung auf dem Gebiet der KI ist die Verfügbarkeit von Daten. Nun hat jede Branche zwar Zugang zu bestimmten Algorithmen, aber nicht zu Daten. Und es geht nicht darum, massenhaft Daten zu haben. Sondern es müssen Daten sein, mit denen man informationstechnisch auch etwas anfangen kann. Und die Versicherungsbranche ist für mich im Mittelfeld, da man über gute Daten verfügt.

[Schenk] Wo sehen Sie bei KI im Vertrieb und im Service das größte Potenzial?

[Vogt] Der Ausschließlichkeitsvermittler wird mittelfristig komplett ersetzbar sein. Denn es gibt keine Informationen, die nicht digital darstellbar sind. Wenn ich aber Produkte mehrerer Gesellschaften anbiete, wird der Mensch auch längerfristig nicht ersetzbar sein. Denn da geht es dann auch um Kreativität, sprich: Konzeptentwicklung. Und hier wird KI noch eine ganze Weile brauchen.

[Abitzsch] Der Einsatz von relevanter KI im Vertrieb ist noch gering, da hier auch alle Datenschutz-Regelungen zu beachten sind. Vielversprechender ist für mich da der Schadenbereich: Können wir z. B. Betrugspotenziale im Sinne der Versichertengemeinschaft besser identifizieren? Generell bietet KI in Zukunft sicher eine Reihe von Ansätzen, um gezielter Mehrwerte und somit bessere Services für unsere Kunden zu schaffen.

Nicolas Vogt

Interview mit Nicolas Vogt

WBV Finanzservice-GmbH

Der Gesellschafter-Geschäftsführer der WBV Finanzservice-GmbH ist Spezialist für biometrische Risiken und Kapitalanlagestrategien. Die WBV ist bereits seit 50 Jahren am Markt und berät ihre Kunden ganzheitlich zu allen Finanz- und Versicherungsfragen - seit über 10 Jahren schwerpunktmäßig online.

[Schenk] Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir recht strenge Vorgaben, Stichwort Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Brauchen wir solche Reglementierungen?

[Eskofier] Selbstverständlich! DSGVO und GDPR sind ein sehr großer Vorteil, den wir in Deutschland und Europa haben. Denn so können wir definieren, wer welche Daten wie verwenden darf. Der Nachteil: Die DSGVO wird immer so wahrgenommen, dass man Daten nicht verwenden dürfe. Das ist aber fatal für unsere Volkswirtschaft. Wir müssen also weg von diesem Denken. Datenschutz heißt: Ich muss die Daten des Einzelnen vor Missbrauch schützen. Dafür ist die DSGVO da.

[Abitzsch] Es gibt ja auch noch andere Richtlinien, mit denen wir uns beschäftigen. Also z. B. Einwilligungserklärungen. Das führt natürlich zu einem erheblichen Mehraufwand in den einzelnen Prozessen und so auch zu hohe Kosten. Und wahrscheinlich werden neue Geschäftsmodelle entstehen, die sich auf Abmahnungen spezialisieren.

[Vogt] Für uns Makler ist die DSGVO ein Kostenfaktor. Mittlerweile ist sie zwar gut in unsere Arbeitsabläufe integriert. Allerdings muss der Kunde nun 2-3 Seiten mehr unterschreiben. Und das Gleiche haben wir jetzt im Internet. Man muss immer die Pop-ups wegklicken, um zuzustimmen, welche Daten ausgewertet werden dürfen. Stück für Stück gewöhnen sich die Kunden aber daran, dass man an der Zustimmung zum Datenaustausch gar nicht vorbeikommt.

[Eskofier] Es gibt schon Modelle, wie man DSGVO-konform Daten sammeln kann. Man setzt sogenannte personal data spaces auf: Ein Mensch besitzt seinen eigenen Datenraum. Darin kann er z. B. Krankheitsdaten hinterlegen. Diese sind immer auf dem neusten Stand. Und dann können Dritte - Zustimmung vorausgesetzt - auf solche Daten zugreifen.

[Schenk] Wird es Bereiche im Versicherungsvertrieb oder Kundenservice geben, in denen der Mensch komplett durch KI bzw. digitale Tools ersetzt wird?

Torsten Abitzsch

Interview mit Torsten Abitzsch

NÜRNBERGER Versicherung

Leitet u. a. die Entwicklung zentraler Online-Angebote und -Services für Endkunden der NÜRNBERGER. Seit über 20 Jahren entwickelt er digitale Lösungen, davon 17 Jahre in der Versicherungsbranche.

[Abitzsch] Die persönliche Ansprache wird im Versicherungsbereich, hier speziell im Vertrieb und bei den Services weiterhin wichtig bleiben. Die entscheidende Frage lautet: Wie schaffen wir es, mit KI die Prozesse so zu verschlanken und zu digitalisieren, sodass die Qualität und die Effizienz in Vertrieb und Service gesteigert werden können?

[Vogt] Gefährlich wird es für den Versicherungsvermittler, wenn er sich als reiner Produktverkäufer sieht, der die Produkte verteilt. Denn dieses Verteilen kann digitalisiert werden. In dem Moment, in dem ich Konzepte erstelle und Themen wie Steuer oder Recht einbinde, wird man es nicht digitalisieren können. So sehe ich unsere Rolle in der Zukunft: kein reiner Produktverteiler, sondern ein lebensbegleitender Berater.

[Schenk] Wir beamen uns jetzt 30 Jahre in die Zukunft …

[Eskofier] Ich glaube, da werden wir sogenannte Brain-Computer-Interfaces haben, mit denen man das menschliche Gehirn beschreiben und lesen kann. Also wenn man einen Satz nur denkt, kann der digital aufgezeichnet werden.

[Abitzsch] Sehr viel wird über das Internet laufen. Das Thema Sprachsteuerung wird eine wichtige Rolle spielen. Und damit verbunden natürlich alles, was den Komfort der Menschen steigert. Ich hoffe aber, dass es auch in 30 Jahren noch den Besuch im Opernhaus oder Konzerte geben wird. Denn wir sind nun mal soziale Wesen.

[Vogt] Vielleicht werde ich mich in 30 Jahren daheim aufs Sofa legen und mein virtuelles Ich wird dann in die Stadt gehen oder ein Beratungsgespräch führen. Gleichwohl sind wir soziale Wesen, die sich auch in Zukunft persönlich treffen oder die Freizeit in der Natur genießen werden.

[Schenk] Herzlichen Dank für das Gespräch!

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