Eltern tennisspielender Kinder und Jugendlicher können vieles richtig, aber auch vieles falsch machen. Wenn der Nachwuchs im Training gut gespielt hat, die Leistung im Turnier aber nicht abrufen kann, fällt es mitunter schwer, ruhig zu bleiben und positiv zu denken. Schimpftiraden beim Gang zum Parkplatz oder während der Heimfahrt sind häufig vorprogrammiert.
Im Interview verrät Stephan Medem, wie Tenniseltern sich vor, während und nach einem Match richtig verhalten, wie Ehrgeiz sinnvoll kanalisiert werden kann und weshalb die Investition in eine Tennislaufbahn auch dann sinnhaft ist, wenn das Kind später kein Profi wird.
Vita von Stephan Medem.
Stephan Medem fand über das College-Tennis in den USA den Weg in das internationale Spitzentennis. Nach dem Ende seiner sportlichen Karriere ergänzte er seine sportwissenschaftliche Ausbildung um ein Studium der Sportpsychologie. Im Anschluss fungierte er als Coach und Mentaltrainer für namhafte WTA-Profis, darunter Laura Siegemund, Barbara Rittner, Claudia Porwik sowie Anca und Adriana Barna. Heute arbeitet er im Tennis als Trainer, Mentalcoach und Scout. Darüber hinaus hat er sich im Businessbereich als Speaker und Coach einen Namen gemacht. Stephan Medem hat bislang 3 Bücher geschrieben und veröffentlicht auf tennisredaktion.de regelmäßig interessante Beiträge.

Stephan Medems Bücher.
"playGIRL"
Der Jugend-Bestseller "playGIRL" ist eine packende Teenie-Story, die auch für Erwachsene lesenswert ist. Die Botschaft des Buches, das mit einem Vorwort von Barbara Rittner (Head of Women’s Tennis im Deutschen Tennis Bund) beginnt, ist klar: Du kannst mit Ehrgeiz, Ausdauer, Mut und Disziplin alles erreichen, was du willst. Sag "Ja" zum Leben und zu jeder Herausforderung!
Aus dem Inhalt: Janina ist 15 Jahre alt, hübsch und spielt auf Verbandsebene recht erfolgreich Tennis. Sie möchte WTA-Profi werden, doch ihr Trainings- und Turnieralltag ist kaum strukturiert. Während eines Familienurlaubs in den Schweizer Alpen besucht sie die dortige Tennisschule. Der Aufenthalt verändert ihr Leben schlagartig.
"Ich WILL nach Wimbledon!" - Tenniseltern-Ratgeber
Der Tenniseltern-Ratgeber "Ich WILL nach Wimbledon!" zeigt Eltern auf, wie sie die Tennislaufbahn ihres Kindes optimal unterstützen und ihm helfen, das Beste aus sich zu machen. Die zahlreichen praxisnahen Beispiele vermitteln beim Lesen Aha-Erlebnisse, die zur Reflexion und zum Ändern eingefahrener, die Leistungsentfaltung des Kindes limitierender Verhaltensmuster einladen.
Im Vorwort schreibt Jose Antonio Fernandez Ibarra, ehemaliger ATP-Profi, Ex-Coach von Steffi Graf sowie Scout der Rafael Nadal Tennis Academy: "Mit seiner lockeren, leicht zu lesenden, unterhaltsamen und keineswegs schulmeisterlichen Art gibt er euch einen Leitfaden zur Hand, mit welchem Ihr Eltern euch perfekt in das Tennisteam einbringen und euer Kind optimal unterstützen könnt. Dieses Buch ist ein absolutes MUSS für jede Mutter, jeden Vater, jeden Coach, der sich ehrlich für sein tennisspielendes Kind und seine bestmögliche Entfaltung interessiert."
Beide Bücher können direkt über die Homepage von Stephan Medem bestellt werden.
"MEIN WILLE!"
Zur Frankfurter Buchmesse 2019 erscheint Stephan Medems neues Buch "MEIN WILLE!". Es ist der erste Band einer Trilogie, die dem Thema Persönlichkeitsentwicklung gewidmet ist.
"Dein Wille" oder "MEIN WILLE!" - jeder Mensch hat die Wahl, ob er ein fremd- oder ein selbstbestimmtes Leben führt. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Stephan Medem auf, wie er gelernt hat, mentale Stärke zu entfalten, seinen Weg zu gehen, sein Leben nach seinen Wünschen zu leben. Behutsam, aber bestimmt nimmt er seine Leser mit auf eine emotionale Reise zu sich selbst. Sie erfahren, wie sie das Optimum aus sich und ihrem Leben herausholen und ausgeglichen in ihre glückliche Zukunft gehen.

Stephan Medem im Interview mit der NÜRNBERGER.
Wie wurde Ihre Tennislaufbahn von Ihren Eltern unterstützt?
Leider viel zu wenig. In meiner Kindheit und Jugend war mein Vater eher ein großer Saboteur. Egal was ich geleistet habe, es war nie gut genug, es war immer zu wenig. Ich habe seine Messlatte quasi permanent "untersprungen". Auch heute haben viele Eltern extrem hohe Erwartungen, denen ihre Kinder nicht gerecht werden können. Das kollidiert mit den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder. Denn diese wollen und brauchen von ihren Eltern in erster Linie Liebe und Anerkennung. Wenn Kinder dauerhaft das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein, beeinflusst das ihre Persönlichkeitsentwicklung negativ.
Wie haben Sie diese negativen Erfahrungen verarbeitet?
Das Negative, das ich im Sport erlebt habe, hat auf viele weitere Lebensbereiche abgestrahlt. Schule, Studium, Beruf. Es war wie ein Betriebssystem in mir drinnen, schaltete sich sofort ein, wenn es mal nicht wie geplant lief. Das war schon ein Handicap. Erst sehr viel später, nach dem Ende meiner Tenniskarriere, habe ich dieses Problem aufgearbeitet und gelöst. Heute weiß ich, dass ich etwas wert bin, gut in dem bin, was ich mache. Meine Vita und die Erfahrungen, die ich als Coach bei nationalen und internationalen Turnieren gemacht habe, haben mich veranlasst, den Eltern-Ratgeber "Ich WILL nach Wimbledon!" zu schreiben.
Was macht für Sie "gute" Tenniseltern aus?
Gute Tenniseltern sind diejenigen, die nicht vergessen, dass ihr Kind auf den Tennisplatz geht, um sein Bestes zu geben. Und sie sollten nie vergessen, dass ihr Kind auf dem Platz unter einem immensen Druck steht. Das bringt die Sportart Tennis mit sich. Dieser Kampf gegen den Gegner und sich selbst ist hoch emotional und mental extrem herausfordernd. Selbst Profis scheitern daran, können nicht ihr bestes Tennis zeigen, verlieren nach hoher Führung. Gute Tenniseltern vergessen auch niemals: Wenn man richtig analysiert und verarbeitet, können aus Niederlagen positive Erfahrungen gezogen werden.
Wie zeigt sich das "Gute-Tenniseltern-Sein" vor, während und nach einem Match?
Vor dem Match hacken gute Tenniseltern nicht zu sehr auf dem Thema Tennis herum. Sie sind positiv und helfen ihrem Kind, sein Tennis und damit einen wichtigen Teil seines Lebens zu leben. Während des Matches sind sie möglichst zurückhaltend, unterstützen maximal durch nonverbale Kommunikation. Nach dem Match sind sie diejenigen, die ihr Kind unabhängig vom Ergebnis liebhaben. Liebe wird in unserer Gesellschaft gerne in Relation zur Leistung portioniert. Das macht keinen Sinn. Ein Kind, das verloren hat, ist frustriert. Da muss es die engste Bezugsperson - und das sind in diesem Alter die Eltern - nicht auch noch zur Schnecke machen. Eine liebevolle Umarmung und mit etwas Abstand eine Analyse des Spiels und das Aufzeigen von Lösungsansätzen bringen alle viel weiter.
Welche "Eltern-No-Gos" sind weit verbreitet?
Einmischung ins Match sehe ich als einen großen Fehler. Mein Appell lautet: Lasst die Kinder spielen, selbst zählen, darüber entscheiden, ob ein Ball in oder out war. Die Kinder können das in der Regel sehr gut alleine. Wenn es wirklich einmal notwendig wird, dann holt einen Oberschiedsrichter, aber vermeidet, euch selbst zu exponieren. Deutlich schlimmer ist der Liebesentzug nach einer Niederlage, den ich eben schon angesprochen habe. In einer Situation, in der das Kind Unterstützung und Zuwendung am nötigsten hat, noch einen obendrauf zu setzen und es weiter im negativen Flow zu belassen, geht gar nicht.
Wie gehen Sie als Coach mit überehrgeizigen Eltern um?
Ich nehme mir sehr viel Zeit und versuche, die Zusammenhänge schlüssig zu erklären. Dabei ziehe ich gerne als Vergleich unser Sonnensystem heran. Das Kind ist die Sonne, also das Zentrum, das von verschiedenen Planeten umkreist wird. Von Eltern, Geschwistern, Coaches, später - wenn es professioneller wird - Physiotherapeuten, Ernährungsberatern, Managern, Sponsoren. Das System kann nur funktionieren, wenn alle in ihrer Umlaufbahn bleiben und ihre Aufgaben erfüllen. Überehrgeizige Eltern neigen dazu, innerhalb des Systems wie Heckenschützen zu agieren, alles zu sabotieren. Ich verstehe mich als Katalysator, der Fehlverhalten aufdeckt und zeigt, wie sich dieses neutralisieren lässt.
Ist es schon vorgekommen, dass Sie das Coaching eines Kindes aufgrund des dauerhaften Fehlverhaltens der Eltern aufgegeben haben?
Die meisten Eltern sehen ein, dass ihr Fehlverhalten nichts bringt, und verbessern sich. Wenn ich aber merke, es tut sich gar nichts, das Projekt Tennislaufbahn ist zum Scheitern verurteilt, greife ich zum Notfallplan und trenne mich von diesem Kind. Dieser Schritt tut mir immer sehr weh. Er ist aber unumgänglich, wenn ich als Coach glaubhaft sein möchte.
Und was machen Sie, wenn Sie es mit überehrgeizigen Kindern bzw. Jugendlichen zu tun haben?
Ehrgeiz ist aus meiner Sicht eine wunderbare Tugend. Menschen, die keinen Ehrgeiz haben, erreichen nichts. Ehrgeiz ist häufig bei denjenigen zu hoch dosiert, die ihre innere Befriedigung zu kurzfristig suchen, die für ihren Einsatz sofort belohnt werden möchten. Im Dialog mit den Kindern und Jugendlichen, die ich betreue, erarbeite ich langfristige Zielsetzungen. Ich versuche, den Ehrgeiz auf diese Weise in die Länge zu ziehen. Durch das mittel- bis langfristige Denken, die Definition von Zwischenzielen und Meilensteinen, nehme ich eine Menge Druck von den Kindern.
Inwiefern wirken sich Differenzen zwischen Eltern und Trainer(n) auf das Tennis der Kinder aus?
Die Folgen sind ganz krass. Denken wir wieder an unser Sonnensystem mit dem Spieler als Zentrum. Wenn die Planeten nicht auf ihrer Umlaufbahn kreisen, funktioniert das Zusammenspiel nicht. Sascha Zverev ist ein gutes Beispiel. Bei ihm gibt es aktuell zu viele Dissonanzen - mit dem Management, zwischen dem Vater und Ex-Coach Ivan Lendl, mit der Freundin. Das alles wirkt sich auf ihn aus. Er leidet, die Performance stimmt nicht mehr. Bei Jugendlichen, die spielerisch und mental deutlich weniger gefestigt sind als ein Top-10-Spieler, sind die Folgen immens. Sie verlieren ganz viel Energie und dadurch auch die Lust am Tennis. Wenn dieser Punkt erreicht ist, können nur noch solide Gespräche das System wieder in Gang bringen.
In Ihrem Buch gehen Sie von motivierten Kindern und Jugendlichen aus. Es gibt aber auch diejenigen, die von den Eltern regelrecht zum Tennis getrieben werden.
Oh ja, die gibt es. Wenn es sich nicht um meine Schützlinge gehandelt hat, habe ich es früher häufig ignoriert, wenn Eltern ihr Kind nach dem Match niedergemacht haben. Heute gehe ich auf sie zu und spreche sie direkt an. Die Reaktionen auf die Frage "Wissen Sie eigentlich, was Sie Ihrem Kind gerade antun?" sind ganz unterschiedlich. Einige Eltern zeigen mir verbal den Stinkefinger, andere schauen ganz verdattert und fragen nach. Ich nehme mir dann die Zeit, zu deeskalieren und Lösungsansätze aufzuzeigen.
Mit welchen Maßnahmen können sich Kinder bzw. Jugendliche von "schlechten" Tenniseltern emanzipieren und wann sollte Hilfe von außen erfolgen?
Hier ist von Anfang an in erster Linie der Trainer gefragt. Er sollte helfen zu analysieren, ob die Ziele der Eltern mit denen des Kindes prinzipiell kompatibel sind. Bei den Scoutings, die ich durchführe, merke ich im 4-Augen-Gespräch häufig, dass Kinder gar nicht leistungsmäßig Tennis spielen wollen. Sie werden von ihren Eltern unter Druck gesetzt, instrumentalisiert, um deren Traum zu leben. Kinder nehmen viel auf sich, um ihren Eltern zu gefallen. Spätestens mit der Pubertät, wenn die eigene Persönlichkeit zum Vorschein kommt, setzt ein Prozess der Emanzipation ein. Jugendliche, die nicht hinter dem Projekt Leistungssport/Profikarriere stehen, steigen dann häufig von heute auf morgen komplett aus dem Tennis aus.
Auch bei optimaler Unterstützung reifen nur ganz wenige Kinder zum erfolgreichen Tennis-Profi heran. Weshalb kann ein finanzielles und zeitliches Investment in eine Tenniskarriere dennoch sinnvoll sein?
Tennis ist die beste Lebensschule, die es gibt. Die Erfahrungen, die man in Training und Wettkampf sammelt, sind unbezahlbar. Wer das emotionale Unwetter im Match besteht, ist auch in anderen Lebensbereichen weniger stressanfällig. Selbst wenn es mit der Profikarriere nichts wird, öffnet das Tennis viele Türen. Einen idealen Plan B stellt das College-Tennis in den USA dar. Es trägt zur persönlichen und sportlichen Weiterentwicklung bei und stellt in beruflicher Hinsicht wichtige Weichen. Für gute Spieler ist es auch ein Leichtes, den Trainerschein abzulegen. Sie können sich dann das Studium über Trainerstunden finanzieren - mit einem sehr überschaubaren Zeitaufwand.
Zum Abschluss noch eine ganz persönliche Frage: Was bedeutet "Tennisleidenschaft" für Sie?
"Tennisleidenschaft" bedeutet, dass ich Kinder und Jugendliche bei der Verwirklichung ihrer Träume unterstütze. Für mich gibt es nichts Schöneres, als junge Menschen zu betreuen, die ihre Träume und Ziele motiviert verfolgen. Als Planeten im Sonnensystem der Kinder sollten wir die Träume bestmöglich "befüttern". Irgendwann kommen sie an den Punkt, an dem sie entscheiden, ob ihre Träume eine Zukunft haben oder ob sie besser andere Prioritäten setzen. Die Zeit, die sie mit dem Tennis verbracht haben, das, was sie im Match gelernt haben, kann ihnen niemand mehr nehmen. Deshalb sollten wir, solange der Traum lebt, das innere Feuer anheizen und in schwierigen Zeiten sanft unter die Arme greifen.